Dissonance

«Spielt es wie ‹Der Tod und das Mädchen›!»

Morton Feldmans String Quartet (II): Zwei Aufnahmen im Vergleich

Ives Ensemble
HAT HUT Records hat[now]ART 4-144 [4 CDs]

FLUX Quartet
mode 112 (Feldman Edition vol. 6) [5 CDs oder 1 DVD]

Thomas Gerlich

 

Morton Feldmans String Quartet (II), Spieldauer laut Partitur dreieinhalb bis fünfeinhalb Stunden, ist der Mythos einer Komposition, als solcher in der Prestigegattung schlechthin konzipiert und als solcher rezipiert. Nicht trennen davon lässt sich ein anderer Mythos, der vom frühen Kronos Quartet, das sich im Jahr der Fertigstellung, 1983, an die Uraufführung des einigermassen vergleichslosen Einsätzers wagte. Die vielbeachtete Darmstädter Premiere (in gekürzter Fassung) folgte, nie aber eine Einspielung – lediglich in Radiomitschnitten zirkulierte von nun an die Grosstat der Kronos-Leute. Für Feldmanianer ohne Zirkelanschluss ist das String Quartet (II) so nach und nach zum «chef d'œuvre inconnu» geworden. Wenig hat daran die gedruckte Partitur geändert bei einem Werk, dessen Dimension gerade auf eine an Echtzeit gebundene, vielsträngige Erinnerungserfahrung hin angelegt ist. Dieses längste von Feldmans langen Stücken gehört zu einer Werkgruppe ab Ende der 1970er Jahre, in der sich sein oft schon modulares Komponieren nun wesentlich zu einem variativ-transformativen Arbeiten mit kurzen, nicht selten gewebeartigen Patterns wandelt. Produktiv werden lässt Feldman darin bekanntermassen auch die tiefgehende Beschäftigung mit alten Nomadenteppichen, deren Herstellungsweise, Musterung und Farbigkeit ihn faszinierte. Anders als dann im Werk der letzten Lebensjahre und womöglich vor dem Hintergrund der Gattung, die es zu reflektieren galt, öffnet er das Quartett für ein Spektrum von Gestaltcharakteren und Tonfällen. Völlig jenseits dieser Tradition entwickeln sich allerdings die verschlungenen Lebens- und Zerfallsprozesse, die Feldman solchem Material widerfahren lässt und deren kompromisslose Durchführung allein die monumentale Form begründet.

 

Höchste Zeit ist es also für eine CD-Veröffentlichung gewesen, und nun sind kurz nacheinander gleich zwei Einspielungen erschienen, von denen allerdings nur die des Ives Ensemble in seiner Quartettformation als Glücksfall gelten kann. Die holländischen Feldman-Spezialisten halten vier Stunden 52 Minuten lang stoisch einen sehr nüchternen Ansatz durch, der sie etwa ganz auf Vibratoeinsatz und eigene dynamische Phrasierung verzichten lässt. Der Vergleich mit dem FLUX Quartet lehrt, dass solches Spiel keineswegs selbstverständlich, dabei höchst adäquat ist: Farbliche Nuancierung und Belebung des ordinario-Tons sind den Texturen jeweils genauso essentiell einkomponiert wie eben der Verzicht darauf. Hierzu gehört auch Feldmans Einsatz enharmonischer Notationsmittel, die mikrotonale Differenzierung bedeuten, ohne dass deren Mass genauer festgelegt wäre (Feldman: «People think they're leading tones. I don't know. Think what you want.»). Klar scheint, dass es jeweils um die Schattierung einer einzigen, nicht um die Gewinnung einer zusätzlichen «Stufe» (z.B. als Viertelton) geht, und das Ives Ensemble überzeugt in seiner trefflich direkt abgenommenen Aufnahme mit einer meist dezenten Umsetzung dieser spieltechnisch horrend anspruchsvollen Tonsatzschicht.

 

Es mag sein, dass ein beinahe distanzierter Zugriff wie dieser gelegentlich nicht jenen auratischen Klang zulässt, den Feldman einmal akzentuiert hat: «When we had the rehearsal in Toronto, and I walked in, and I wanted to convey the mood of the piece to the musicians, I said to the marvelous Kronos Quartet, ‹Well,› I said to them, ‹play it like Death and the Maiden!› And they played. That's it. That kind of hovering, as if you're in a register you'd never heard before. That's one of the magics of Schubert.» An einer Stelle wie dem auffällig diatonischen, verhaltenen Schwelgen im Dreiertakt (Partitur S. 22) scheint so gesehen das amerikanische FLUX Quartet zunächst überlegen, das hier mit einem kultivierten, entrückten Quartettklang aufwarten kann. Doch das ist zu kurz gedacht, denn an den fünf Stellen, an denen Feldman dieses Material in den nächsten Stunden wieder aufnimmt, wirkt es durch Chromatisierung und fremde Pattern- Einsprngsel auf eine Weise gebrochen, die den stets beibehaltenen Klangansatz nun falsch werden lassen. Leider können Tom Chiù & Co. auch mit der Souveränität des holländischen Ensembles nicht konkurrieren. Ob es um Synchronisation oder um wörtliche Pattern-Wiederholungen geht, auf der mode-Aufnahme – Studioproduktionen sind es beide – passiert während gut sechs Stunden doch zuviel Unkontrolliertes. Dabei agiert das FLUX Quartet deutlich unter der Metronomisierung, die sich für die Prägnanz gerade der (wenigen) schnellen Charaktere als keineswegs arbiträr erweist. So ist man für einen HiFi-Trip durch String Quartet (II) nicht vor eine echte Alternative gestellt.

 

Dieser Artikel erschien in dissonanz/dissonance 85, März 2004, S. 50. Die Ausgabe ist noch erhältlich und kann hier bestellt werden.

by moxi