Das Immersive Lab
Ein Dispositiv zur Erfahrung und Erforschung von Immersion
Jan Schacher und Daniel Bisig
Der Begriff der Immersion bildet den Gegenstand einer ästhetischen Kontroverse, die über die Grenzen des Musikdiskurses hinausreicht. Immersion steht für Erfahrungen des Eingenommenseins von sinnlichen Eindrücken, für das Eintauchen in virtuelle Umgebungen oder die verlebendigende Kraft des Scheins. Das immersive Erleben steht somit im Gegensatz zum distanzierten Betrachten, das für lange Zeit den Umgang mit Kunst auszuzeichnen schien. Distanz zu schaffen – zum Wahrgenommenen wie zum eigenen Wahrnehmen – galt als die Stärke der Kunst, besonders der modernen. Denn erst in einer reflektierenden Aneignung, so die Überlegung, komme das kritische Potenzial der Kunst zur Geltung; sei es als Kritik an den Vereinnahmungen der Kulturindustrie, am Eskapismus des gehobenen Kitschs oder an den Überwältigungsstrategien der politischen Propaganda. Diese Ansicht scheint heute an Überzeugungskraft zu verlieren. Die zeitgenössischen Künste, und besonders die Musik und Klangkunst, wollen ihre immersive Macht nicht mehr unterdrücken – eine Macht, die durch die Digitalisierung nur noch verstärkt wurde: Environment und Installationen, inszenierte Konzerte und interaktive Kunstformen involvieren die Betrachter, ziehen sie ins Geschehen hinein. Dabei geben diese Spielformen aber keinesfalls den Anspruch auf, im emphatischen Sinne Kunst zu produzieren – vielmehr scheinen sie eine andere Idee vom Sinn der Kunst einzufordern. Dennoch drängt sich die Frage auf: Passt sich die Kunst auf diese Weise nicht dem allgegenwärtigen Spektakel an? Oder befreit sie sich von einer falschen Selbstbeschränkung? Bezeichnet Immersion immer ein unkritisches Verhalten oder eröffnet sie vielmehr Erfahrungsräume, die uns im Alltag verschlossen bleiben? Die Frage nach der Funktion der Immersion in der Kunst lässt sich nicht im Voraus entscheiden, sondern muss als Streit ausgetragen werden. Wir haben Künstlerinnen und Wissenschaftler gebeten, in dieser Debatte Stellung zu nehmen, von eigenen Erfahrungen und Arbeiten zu berichten und über die Gründe der neuen Attraktivität des Immersiven nachzudenken.
Diese Nummer der dissonance ist in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) entstanden, an der die Möglichkeiten der ästhetischen Immersion seit Langem diskutiert und erforscht werden. Wir danken den Mitarbeitenden der ZHdK, diesen wichtigen Austausch ermöglicht zu haben.